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02.10.2025 · Ernst FIscher
Bild: PxHere

Eine Philosophie der Störung

„Du störst mich!“ „Der stört das ganze Gefüge!“ „Da liegt eine Störung im System vor.“

Solche oder ähnliche Aussagen prägen das Bild, das wir im Allgemeinen von Störungen haben: Zumindest nerven sie, oft empfinden wir sie sogar als Behinderung sinnvoller Projekte und Gefährdungen scheinbar funktionierender Systeme. Können Störungen aber nicht auch bereichernd sein, gar notwendig?

Philosophen wie Günther Anders, Hannah Arendt oder in der Jetztzeit Dieter Thomä haben darüber nachgedacht. Aber man ist oft nicht bereit, Philosophen zuzuhören, weil sie gerade bei der kollektiven Begeisterung stören. Aber konstruktive Störung ist und bleibt die Aufgabe der Philosophie. Wie könnte sie Orientierung leisten, wenn sie sagt, was alle sagen?

Störungen können produktiv sein

Niemand mag Störungen. Der Philosoph Dieter Thomä sagt aber: Störmomente gehören nicht nur zum Leben, sondern bringen uns manchmal entscheidend weiter. Doch was macht Störung produktiv?

Zuerst einmal: Es gibt Querulanten, Dickschädel, Narren, Egomanen und Narzissten, Trittbrettfahrer und sogar Gewalttäter. Ihre Störungen sind meist Zerstörungen und führen nicht weiter. Sie sind im Folgenden auch nicht gemeint, wenn ich von produktiven Störern spreche.

Ein Plädoyer für den "konstruktiven Störenfried"

Es gibt einen Typ des Störenfrieds, der sich mit dem Status quo anlegt, um eine andere, bessere Ordnung durchzusetzen. Diesem Menschen ist die Zukunft von Beziehungen wichtig, im Privaten, Beruflichen, aber auch in Gesellschaft und Politik. Er will vielleicht sogar eine bessere Welt, in der Menschenwürde, Friede und Gerechtigkeit eine Chance haben. Er will nicht zerstören, sondern aufbauen, Brücken bauen, Fundamente neu verlegen. Schon Rousseau macht sich zum Fürsprecher dieses tatkräftigen Menschen. Rousseaus Held will das Gesetz nicht – wie die anderen „starken Kerle“ – unterlaufen oder überspielen, sondern erneuern. Er ist also ein „konstruktiver Störenfried“.

Eine störungsfreien Welt – ein Wunsch, der ebenso verständlich ist wie verfehlt

Angesichts der Komplexität der modernen Welt kommt bei vielen Menschen der Wunsch nach einer störungsfreien Welt hoch – ein Wunsch, der ebenso verständlich ist wie verfehlt. Produktive Störer aber schaffen Reibung, und Reibung produziert Emotionen. Produktive Störungen finden deshalb niemals in Harmonie statt, denn „Without trouble there is not change!“ Wer produktiv stört, rüttelt an Gedankenwelten, Ideen, Prozessen oder Strukturen.

Wer „konstruktiven Störungen“ aufmerksam wahrnimmt, lernt Selbstverständlichkeiten und scheinbare Gewissheiten zu hinterfragen. Wenn man einmal verstanden hat, dass es dem Störenden nicht um sich selbst oder gar um Zerstörung geht, findet man in seiner eigenen Gedankenwelt neue Ansätze und Blickwinkel. Beziehungen werden so anders, Projekte vielleicht zielgerichteter, Systeme menschlicher.

Wir sollten den produktiven Störenfrieden dankbar sein.

Wir sollten den produktiven Störenfrieden dankbar sein.

Ernst Fischer

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