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09.09.2024 · Ernst Fischer
Bild: FlickR

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Das Irrationale und wir

Ein Skorpion will über den Nil und bittet ein Krokodil, ihn mit hinüber zu nehmen. „Nö,nö“, sagt das Krokodil, „du wirst mich stechen, und dann bin tot.“ „Warum sollte ich das tun?“, antwortet der Skorpion, „dann wäre ich ja auch tot.“. Das überzeugt das Krokodil, und es nimmt ihn mit. Doch in der Mitte des Flusses sticht der Skorpion das Krokodil. „Warum tust du das?“, fragt das sterbende Tier entsetzt. Darauf antwortet der Skorpion: „Welcome to the Middle-East!“

Aber nicht nur im Mittleren Osten: Trump, Orban, Putin, der Brexit, das Scheitern jeder hilfreichen globalen Klimapolitik – Das Irrationale wird immer stärker, die Skorpione werden mehr.

Es grenzt, so Peter Unfried, der diese Geschichte von Joschka Fischer gehört hat, „an intellektuelle Verwahrlosung, wenn man die planetarische Krise des menschlichen Zusammenlebens mit den alten nationalen Politikressentiments fassen will.“ So auch geschehen im letzten Wahlkampf in Bayern, wo von der CSU über die FW bis hin zur AfD, den Grünen dafür die Schuld gegeben wurde.

Wie aber kann man das Irrationale eindämmen? Warum ist die Unvernunft im Wachsen? Und welche Gegenmittel gibt es?

Einig sind sich die Soziologen und Politikwissenschaftler, dass die derzeitigen Krisen ein ständig wachsendes Gefühl der Unsicherheit, Sorge, Hoffnungslosigkeit und Wut generieren. Vielen hilft dabei nicht mehr die Klärung von komplexen Ursachen, sondern sie sind anfällig für einfache Antworten. Viele nehmen sich nicht mehr die Zeit, sich auszutauschen oder zu reflektieren. Es ist einfacher, dem Herdentrieb der jeweiligen Blase zu folgen. Und wo dann das Nachdenken, schlussendlich also die Vernunft an Wert verliert, gewinnen irrationale Gedanken.

Der Nobelpreisträger Daniel Kahneman hat dies in seinem Lebenswerk „Schnelles Denken, langsames Denken“ skizziert. Das schnelle (irrationale) Denken produziert systematische Fehler. Das schnelle Denken hat keinen Schimmer von Statistik oder Wahrscheinlichkeit, sträubt sich gegen Verluste, sodass es tollkühne Risiken eingeht, um sie zu vermeiden, es hält alles, woran es aktuell denkt, für enorm wichtig, und alles, was bekannt ist, für erfreulich, reagiert auf Formulierungen statt auf Inhalt, lebt im Moment und hat so gut wie keine Wahrnehmung von Zeit. Das Gespenstische ist die Geräuschlosigkeit, mit der es arbeitet. Das schnelle Denken zieht, egal woher, alle verfügbaren Informationen hinzu, allerdings ohne sich darum zu kümmern, ob diese Informationen richtig, zur Sache gehörend oder nur halbwegs ausreichend sind.

Was also hilft weiter?

Im Großen: wahrscheinlich nur eine Stärkung der Institutionen: Demokratie, Rechtsstaat, Gewaltenteilung. Denn Institutionen wurden gerade zu diesem Zweck entworfen – um unperfekten, zweifelhaften Individuen das Zusammenleben zu ermöglichen.

Im täglichen Umgang: Mehr Manieren und Höflichkeit sind keine schlechte Idee. Man hat keine Ahnung, wen man gerade womit verletzt. Und - töte nie das Krokodil, das dich über den Nil setzt.

Im Umgang mit mir selbst – ein Zweifaches: Den inneren Schweinehund überwinden und sich Zeit zu nehmen zu lesen und zu reflektieren. Und dann Zeichen setzen, damit allen klar wird: Die Mehrheit sind immer noch wir, die Demokraten und Humanisten.

Ernst Fischer

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