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08.09.2024 · Ernst Fischer

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Rubrik: Themen und Impulse/ Themen: Höflichkeit

20.10.2023 Ernst Fischer; Foto: Geograph

Höflichkeit ist viel mehr als gutes Benehmen

Knigge – ein Wort, das für die bürgerlich-hierarchische Gesellschaft der Vergangenheit steht wie kein anderes. Seit den 1968er-Jahren wurden die dort geforderten Benimmregeln zunehmend offensiv abgelehnt oder passiv vergessen. Leider wurde damit auch die Tugend der Höflichkeit gleich mit beerdigt.

Als ich so sieben, acht Jahre gewesen bin, habe ich von meinem Vater einen Hut geschenkt bekommen: einen Pepita-Hut im klassischen schwarz-weiß-Karo. Er sollte bei Sonntagsspaziergängen oder Kirchgängen die Wollmütze ersetzen. Was in erster Linie die Anerkennung war, dass ich nun kein kleines Kind mehr sei, war aber auch das Einüben einer klassischen Benimmregel: Man zog den Hut vor anderen Menschen, die einem begegneten, besonders aber vor scheinbar Höherrangigen. Die Hut-Phase ging rasch vorbei, dass „Hausbuch des Guten Tons“ stand aber noch lange im elterlichen Bücherregal.

Mit der Höflichkeit, zu der ich erzogen worden bin, haben meine Eltern Gott-sei-Dank nicht nur die Benimmregeln verstanden, aber in weiten Teilen der Gesellschaft wurde die alte Tugend vergessen.

Historisch entwickelte sich die Höflichkeit im Prozess der Zivilisation im spätmittelalterlichen Übergang zur Neuzeit (Norbert Elias), zuerst bei Hofe, wo die Rohheit und Gewalttätigkeit des Feudaladels zur höfischen Courtoisie des Hofadels gebändigt wurde. Die Höflichkeit zählt zu den Tugenden, sie ist eine rücksichtsvolle Verhaltensweise, die den Respekt vor dem Gegenüber zum Ausdruck bringen soll. Allgemeingut ist seit dem 19. Jahrhundert Arthur Schopenhauers Formulierung geworden: „Höflichkeit ist ein sprachliches oder nichtsprachliches Verhalten, das zum normalen Umgang der Menschen miteinander gehört und den Zweck hat, die Vorzüge eines anderen Menschen indirekt zur Erscheinung zu bringen oder ihn zu schonen, wenn er vielleicht nicht vorzüglich sein will.“

Höflichkeit meint einen grundlegenden Respekt vor anderen Menschen, ein auf Andere Rücksichtnehmen.

Heute beobachtet man das Handygeplapper im Zugabteil, die achtlos hingeworfenen Gegenstände am Waldweg (oder den E-Scooter mitten auf dem Bürgersteig) und die Menschen in Fußgängerzonen, die sich - ohne nach vorne, nach links oder rechts zu schauen - ihren Weg durch die Massen pflügen. Heute steht die Höflichkeit unter Druck, und damit der respektvolle Zusammenhalt einer Gesellschaft. Im Spiegel der die Andere vergessenden Subjektivität zeigt sich nur noch das Ich; die Achtsamkeit für Dinge und Menschen im Umfeld schwinden.

Dieser Schwund zeigt sich auch im politischen Diskurs und im gesellschaftlichen Streit. Höflichkeit hieße dort, das Gegenüber – bei aller Ablehnung seiner Meinung – immer noch als Mitmenschen zu sehen. Die grundlegendsten Regeln der Höflichkeit könnten verhindern, dass man seine Impulse nicht mehr zügelt, so dass sie andere verletzen.

Es ist noch nicht zu spät. Das Versprechen, das an den Höfen der beginnenden Neuzeit gegeben wurde, durch eine freundliche Umgangsweise auch in einer zunehmend freundlicheren Welt zu leben, lässt sich auch heute noch einlösen. Fangen wir bei uns an!

Ernst Fischer

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