Was Du heute kannst besorgen …
… das verschiebe nicht auf morgen!“ Jeder kennt dieses alte deutsche Sprichwort wie auch die zahlreichen Abwandlungen wie „Was Du heute kannst verschieben, kann auch noch bis morgen liegen.“ Was jahrhundertelang als Wesen deutscher Arbeitsmoral galt, ist das heute auch noch richtig?
Zuerst einmal: Natürlich gibt bei beide Einstellungen krankhafte und krankmachende Ausnahmeerscheinungen. Aber auch wenn wir in der Postmoderne gerne anderen oder etwas anderem die Schuld geben: Bei nur wenigen Arbeitnehmer/-innen zeigen sich pathologische Züge, die dann mit lateinischen Fachbegriffen belegt werden, nämlich
Präkrastination für den Drang, möglichst schnell fertig zu sein,
Prokrastination für die Neigung zum Aufschub, die zugebenermaßen weiter verbreitet ist.
Schätzungen summieren sie gar auf bis zu 20%. Also nicht der so geschmähte Workaholiker scheint in Wahrheit das gesellschaftliche oder gesundheitspolitische Problem zu sein.
Mir geht es um die alltäglichen Arbeitssituationen. Selbst im Zeitalter der Prinzipien der Generation Y und jetzt Z ist meine These: Im Grundsatz ist es für Führungskräfte sinnvoll, Arbeiten und Probleme möglichst zeitnah zu erledigen. Das schafft Raum und Zeit für Neues. Und nicht nur neue berufliche Aufgaben, sondern auch Raum und Zeit für die Verwirklichung eigener Ideen.
Zudem ist eine zeitnahe Bewältigung von Aufgaben auch oft schneller und effizienter, weil man sich nicht mehr einlesen oder nachfragen muss.
Seine Arbeit gleich zu erledigen, entlastet auch, weil Verschobenes die Angewohnheit hat, immer wiederzukehren, und dann oft mit einem schlechten Gewissen im Gepäck, was wiederum zu einer Verschiebung führt. Wer aufschiebt, ist oft unzufrieden und schämt sich, was erst recht zu inneren Unruhe und Gestresstsein führt. Die scheinbar gewonnene Energie, eine ungeliebte Aufgabe verschoben zu haben, wird nun doppelt und dreifach benötigt, um die Folgen zu bewältigen. Dagegen erleben viele, die eine ungeliebte Arbeit erledigt haben, eine Art Glücksgefühl.
Und schließlich hat diese Einstellung zur Arbeit auch ganz praktische Folgen: Man versäumt keine Fristen, ein gewisser Arbeitsdruck erhöht oft die Leistung … und der Vorgesetzte ist mit einem zufrieden.
Es gibt aber auch prinzipielle Ausnahmen. So sollte keine Personalentscheidung oder keine komplexe Problemlage sofort erledigt werden. Hier trifft dann ein weiteres deutsches Sprichwort zu: „Gut Ding muss Weile haben.“
Selten zwar kommt es vor, dass sich ein Problem selbst erledigt oder morgen unter einer neuen Fragestellung auftaucht. Dann wäre die ganze Vorarbeit umsonst oder gar falsch. Erfahrende Führungskräfte wissen, bei welchem Schreiben oder bei welchem Absender sie die Aufgabe besser noch liegen lassen.
Für Führungskräfte gibt es keine Stechuhr und kein Arbeitszeitkonto.
Dort liegt aber auch eine Schwierigkeit. Wenn nicht die Klingel das Ende des Arbeitstages anzeigt, muss man sich selbst disziplinieren. Denn es gibt auch anderes Wichtiges, die Kinder noch vor dem Zubettgehen zu sehen oder den Partner am Hochzeitstag mit einer früheren Heimkehr zu überraschen. Dann muss die Arbeit eben liegen bleiben!
Ernst Fischer