Rote Fäden
Stichworte:
Anlässe & Symbole

05.05.2025 · Ernst Fischer
Bild: wikimedia commons

Rede bei einer Abschlussfeier

Wer Kritik üben will, muss auch Verantwortung übernehmen.

Sehr geehrter Herr Landrat, sehr geehrte Gäste,

liebe Kolleginnen und Kollegen, liebe Eltern,

liebe Absolventinnen und Absolventen,

Wer etwas zu kritisieren hat, der soll das tun.

Wer aber etwas verändern will, der muss etwas tun.

Er muss sich einmischen, muss mitarbeiten,

muss Verantwortung übernehmen.“

In seiner letzten „Berliner Rede“ am 12. Mai 2004 hat sich der kurze Zeit später verstorbene Alt-Bundespräsident Johannes Rau Gedanken gemacht über die Zukunft unseres Landes und dabei Vertrauen und Verantwortung als die Grundlagen jeglicher Verbesserung angemahnt. Seine Worte gelten meines Erachtens auch für euch, die Absolventinnen und Absolventen unserer Schule.

1. Wer nur kritisieren will, der soll das tun – aber er braucht sich nicht zu wundern, wenn er nichts erreicht.

Auch ihr – die 162 Abschlussschülerinnen und -schüler des Jahrgangs XX – seid Kinder eurer Zeit. Diese Zeit ist auch geprägt durch Konsum, hohe Ansprüche an den Staat, die Schule, die Lehrer und die Anderen - durch eine so genannte Toleranz, die aber oft nur als versteckte Gleichgültigkeit daherkommt - und durch die Idee der Selbstoptimierung: Scheinbar zählt in unserer Gesellschaft nur noch das Ich. Insofern gab es unter Euch leider auch einige, die sofort dann Kritik übten, wenn ihre Erwartungen nicht immer oder nicht gleich erfüllt werden. Einige von euch waren auch solche, die statt Kritik zu üben einfach nur mal so „abgemotzt“ haben oder die sich nicht wirklich interessierten für das, was um sie geschieht, hauptsächlich: „Es passt für mich“.

Es mag ja eine innere Befriedigung gegeben haben, wenn man seine Kritik auf diese Weise losgeworden ist – aber es hat sich deswegen nichts geändert. Diese Mitschülerinnen und Mitschüler habt nichts geändert! Ich hoffe, sie nehmen diese Erfahrung und Beobachtung mit in ihr weiteres Leben.

2. Wer Kritik übt, muss auch für Veränderung einstehen.

Andererseits wussten die allermeisten von euch, wie sie ihre berechtigte Kritik anbringen, wie sie sie fruchtbar werden lassen konnten. Die allermeisten von euch wussten, dass auch der „Ton die Musik macht“.

Vieles ist durch euch in diesem Schuljahr geschehen: Im Schulforum haben eure Vertreter Eindruck hinterlassen und die Geschicke dieser Schule mitbestimmt; in der SMV sind neue Ideen geboren und alte wiedererweckt worden. Ich darf nur an den Abschlussscherz erinnern: Wie viele Jahrgänge vor euch haben davon gesprochen – ihr habt ihn wieder zum Leben erweckt. Dass er zu einem Open-Air-Festival mit tollen Acts und einem krachenden Ende wurde, ist euch zu verdanken.

Auch dass ihr der neuen Anordnung, keinen Alkohol bei den „spontanen“ Feiern nach der schriftlichen Abschlussprüfung mitzubringen und zu trinken, nachgekommen seid – obwohl manche von euch dies kritisierten – zeigt, dass er Veränderungen und Verantwortung nicht abgelehnt habt.

3. Wer Kritik übt, muss Verantwortung für sich selbst übernehmen.

Es ist legitim Kritik zu üben an der Schule und an Lehrkräften, aber nur dann wenn ein Jeder auch ehrlich zu sich selbst ist!

Es ist legitim Kritik zu üben an der Schule und an Lehrkräften, aber nur dann wenn ein Jeder auch an sich selbst arbeitet!

Und das habt Ihr bewiesen: Schon seit langem gab es keinen Jahrgang mehr, der so gute Ergebnisse erbracht hat:

  • 98,2 % der 160 Schüler der 10. Klassen haben die Abschlussprüfung bestanden.
  • Bei insgesamt 648 Abschlussprüfungsarbeiten haben sich 231 Verbesserungen gegenüber der Jahresfortgangsnoten ergeben: Jede 3. Arbeit viel besser aus als die Jahresnote!
  • Heute können Schüler nicht mehr als Beste geehrt werden, die z.B. im letzten Jahr mit dem gleichen Schnitt noch dabei gewesen wären!

4. Wer Kritik übt, muss bereit sein, Verantwortung für andere zu übernehmen.

Und mit Dankbarkeit habe ich erleben können, dass sich bei Euch eine Linie durchgesetzt hat, die ungefähr so zu umschreiben ist: Wir schauen nicht mehr weg, wenn irgendetwas in unserer Gemeinschaft passiert; wir schweigen nicht mehr, weil wir keinen Mitschüler „verpfeifen“ wollen; ein jeder von uns ist verantwortlich für die Schule und die Atmosphäre zwischen den Schülern.

Auch haben viele von euch Verantwortung übernommen, indem sie sich für verschiedene Aufgaben in der Schule zur Verfügung stellen. Dass die Meldungen für die Tutoren immer noch die Zahl der Benötigten bei weitem übersteigt, dokumentiert dies zum Beispiel anschaulich.

Liebe Abschluss-Schülerinnen und –schüler, ich erhoffen mir - für euch und für eure Zukunft - dass ihr diese vier Wahrheiten in eurem weiteren Leben lebendig werden lasst:

1. Wer nur kritisieren will, der soll das tun – aber er braucht sich nicht zu wundern, wenn er nichts erreicht.

2. Wer Kritik übt, muss auch für Veränderung einstehen.

3. Wer Kritik übt, muss Verantwortung für sich selbst übernehmen.

4. Wer Kritik übt, muss bereit sein, Verantwortung für andere zu übernehmen.

Danke für Eure Aufmerksamkeit!

Weitere Beiträge entdecken

Weitere Beiträge

Teilen Sie Ihr Wissen

Sie können sich auch selbst beteiligen – durch einen eigenen Beitrag oder einen Kommentar. Dies ist eine wertvolle Möglichkeit, Ihre Ideen und Meinungen zu teilen, indem Sie andere durch Ihr Nachdenken bereichern und eigene Inhalte erstellen. Ihr Engagement bringt neue Perspektiven ein.

Beitrag per E-Mail einreichen

×