Erinnern Sie sich noch
… als es auch in Bayern 2019 die ersten Klimademonstrationen von „Fridays for future“ gab? Und an die Aufregung in der Kultusbürokratie, an den Schulen und in den Feuilletons? Da nahmen sich Schülerinnen und Schüler die Freiheit, die 5. und 6. Unterrichtsstunde zu schwänzen, um an einer Demo teilzunehmen. Sie plädierten für ihr positives Recht auf Meinungsäußerung in einer Sache, die ihr zukünftiges Leben bestimme, ja sogar ihr Überleben. Sie nähmen sich dafür auch die Freiheit, die Regeln der Schulpflicht zu brechen.
die Unterscheidung von negativer Freiheit und positiver Freiheit
Letztlich weist diese Rückschau auf eine fundamentale Beschreibung von Freiheit, die auf den Denker Isaiah Berlin 1958 zurückgeht: die Unterscheidung von negativer Freiheit und positiver Freiheit. „Freedom from“ bezeichnet nach Berlin die Freiheit von etwas, zum Beispiel von äußeren Zwängen. Dagegen meint „freedom to“, etwas tun zu können, was den eigenen Zielen gerecht wird, die so genannte positive Freiheit.
Timothy Snyder "Über Freiheit"
Nun (2024) hat der weltbekannte US-amerikanische Historiker Timothy Snyder ein Buch vorgelegt, das den Begriff „Freiheit“ historisch wie auch zeitaktuell reflektiert.
Mit anderen diagnostiziert Snyder das letzte Jahrhundert als eine Übermacht des Denkens in Kategorien der negativen Freiheit, die sich im Libertarismus und Neoliberalismus zu einer Ideologie verstärkten. Es ginge nur noch um Befreiung von staatlichen Schranken. Sie seien das Grundübel, ein Hindernis für Entwicklung und Fortschritt. Was sich daraus entwickelt hat, prognostiziert Snyder glaskar. Wir sehen es nun bestätigt: nicht nur in den trumpschen USA.
Was nützt es, ein Hindernis zu beseitigen, wenn man keine moralischen Erwägungen anstellt?
Snyder plädiert dagegen vehement für eine positive Freiheit. Was nütze es, ein Hindernis zu beseitigen, wenn man keine moralischen Erwägungen anstelle. Man schaffe nur eine „Tyrannei der Rücksichtslosen“. Er entwirft in fünf Kapiteln ein Gegenbild, die nach Bedingungen für ein freies Leben fragen, alle im Duktus der Ermutigung geschrieben. Timothy Snyder fordert einen Aufbau von Strukturen, die Freiheit ermöglichen, wie zum Beispiel auf der Basis von Solidarität, der Freiheit, Neues zu schaffen oder der, Inspiration zu ermöglichen. Der Glaube an die Wahrhaftigkeit und an die Faktizität sind für ihn „lebensnotwendig“, ansonsten hätten wir nur Geschrei, Durcheinander und letztlich das Recht des Stärkeren.
Die Schüler/-innen des Jahres 2019 forderten das negative Recht, Schule eher zu beenden und frei sein zu dürfen. Hätten sie dies nur getan, um sich ihren je eigenen Bedürfnissen hinzugeben, wären die negativen Folgen deutlich. Sie aber hatten (in ihrer Mehrzahl) ein Gefühl der Solidarität, des gemeinsamen Kampfes für etwas, das ethischen Überlegungen folgte. Die meisten nahmen dafür auch eine Schulstrafe in Kauf. Ein Zeichen zivilen Ungehorsams, um einer größeren Sache willen.
Ernst Fischer