Eine Geschichte: Wie man einen Fluss bestraft
nach Steffen Zöhl, 2019
„Es war einmal vor langer Zeit ein Bauer, der ritt mit seinem Esel zum Markt in die Stadt. Auf dem Weg musste er einen kleinen Flusslauf überqueren. An einer Stelle war der Fluss so flach, dass man ihn gut durchwaten konnte.
Nach einem starken Regen war eines Tages der Wasserstand des Flusses höher als sonst, und der Bauer wurde bis zum Gürtel nass.
Das ärgerte ihn sehr und er begann zu schimpfen und zu zedern: „Warum trägst du soviel Wasser, du verdammter Fluss? Du bist schuld, wenn ich meine Ware nicht verkaufen kann. Du bist schuld, dass ich mich so ärgern muss.“ Er stand im kalten Wasser und wurde immer wütender. Er nahm sogar einen Stock und peitschte das Wasser.
Dem Esel, der eine Weile neben dem Bauern gestanden hatte, wurden die Beine auch kalt und er ging ans trockene Ufer.
Während der Esel bald wieder trockene Beine hatte, kühlte der Bauer immer mehr aus und fing an zu niesen und zu schneuzen. Immer noch voller Ärger beschloss er umzukehren. Auf dem Weg nach Hause erklärte er dem Esel, dass der Fluss schuld sei, dass er nun erkältet sei. „Aber dem hab ich’s gezeigt!“, schloss er.
Und wenn er nichts gelernt hat, bestraft er den Fluss noch heute."
Ernst Fischer, gekürzt und leicht verändert nach Steffen Zöhl, 2019, Lehmanns Media