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29.09.2024 · Ernst Fischer
Bild: privat

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Zeitgenössische Kirchenfenster als Symbol

für das Wesen einer christlichen Gemeinde

Die im Jahr 1886 geweihte neugotische Heilig-Kreuz-Kirche in München-Giesing weist seit 2019 ein besonderes modernes Kunstwerk auf.

Blickt man beim Betreten der Kirche auf den Chorraum, erscheinen Muster und Farbe auf den nach oben spitz zulaufenden Fenstern zunächst schlicht. Sie leuchten in unterschiedlichen Blau- und Grautönen. Nähert man sich, scheinen die Abbildungen auf den Fenstern eine Art Fortführung des gotischen Musters auf dem purpurnen Wandteppich im unteren Bereich des Chorraums zu sein. Dann gewinnen sie immer mehr an Kontur: Sind es Engelsflügel? Erst bei genauerem Hinsehen werden sie erkennbar: Hunderte Röntgenaufnahmen der menschlichen Lunge.

1200 echter Thoraxaufnahmen hat der Video- und Fotokünstlers Christoph Brech verarbeitet, etwas 30 auch von Gemeindemitgliedern und dem Pfarrer.

Waren viel entsetzt über diese scheinbar morbide, an Krankheit und Tode erinnernde Themenwahl, spiegeln sie für mich wichtige Wesenselemente einer modernen christlichen Gemeinschaft.

Kirche besteht aus Menschen. Es sind nicht die Heiligen aus fernen Zeiten, nicht die alten Heilsgeschichten, die uns entgegenleuchten, sondern wir selbst. Die Gemeindemitglieder, die sich zum Gottesdienst versammeln, sehen sich selbst. Gleichzeitig sind die Kirchenfenster eingebettet in einen neugotischen Altar. Und so berühren sich im Blick des Betrachters Göttliches und Menschliches.

Wichtig scheint mir auch die Betonung der Einzigartigkeit eines jeden Menschen. Mit dem Blick in den Körper hinein fielen alle Äußerlichkeiten weg, aber jede Lunge ist anders, keine gleicht der anderen. Was Kirche heute benötigt, sind die einzelnen Menschen und nicht die Herde. Erst in der freiwilligen Ausrichtung auf eine transzendente Wahrheit von Gott wird aus den Individuen eine Gemeinschaft.

Zudem wird das "Kreuz" des Menschen, bestehend aus Schlüsselbeinen und Rückgrat, dargestellt. Im Kreuz ist die Verheißung eines unsagbaren Leidens, aber auch des Selbstbewusstseins des Menschen, der Rückgrat beweist und den Mut, etwas auf sein Kreuz zu nehmen. Und wieder transzendieren die medizinischen Aufnahmen: Sie erinnern an das Leben und das Ende des Jesus von Nazareth.

Wie in vielen Darstellungen des Leidens Jesu ist aber auch hier Hoffnung eingewebt: Es ist die Lunge, in der das Leben eingehaucht worden ist. Es ist der Atem, der uns lebendig macht. Unser Atem – aber auch der des Heiligen Geistes.

„Während der Gottesdienste bilden die Fenster das Pendant zur Gemeinde“,

erklärt der Künstler, „Lichtbilder, nach oben schwebend, Engeln gleich.“ Die Christinnen und Christen wissen und fühlen: Was bleibt, ist der Mensch in seinem Menschsein und seine Verantwortung, Luft und Kraft für diese reale Welt zu sein.

Ernst Fischer

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