„Ja oder Nein?“ „Ja, aber!“
„Ja…und!“
Ein Plädoyer für eine offene Kommunikationskultur in Gesellschaft, Politik, im Beruf und im Privaten
Es ist erschreckend, wie stark der öffentliche Diskurs vom Lagerdenken bestimmt ist. Es ist erschreckend, wie differenziertes Beurteilen immer schon reflexhaft den Argwohn der Andersdenkenden auslöst. Es ist erschreckend, wie oft nur ein „Ja“ oder „nein“ akzeptiert wird, und jedes „Ja, aber“ Skandale auslöst.
Es scheint so zu sein, dass viele Gruppen und Menschen kein Nebeneinander von Diskussionsbeiträgen mehr aushalten, auch wenn sie vernünftig, reflektiert und analytisch sind.
Dagegen hilft nur die Haltung des „ Ja und!“
„Ja und“ heißt: Abkehr von konvergentem Denken, also das Finden einer einzigen und klar definierten Lösung für ein Problem. „Ja und“ dagegen ist divergent: es kann verschiedene Lösungen geben. Ziel ist es, die beste Lösung zu finden.
„Ja und“ heißt: Immer unter der Voraussetzung, dass man sich in einem Raum der reflektierten, faktenorientierten und vernünftigen Meinungen befindet – Es gibt Überzeugungen, die lassen sich verknüpfen. Oder es gibt Überzeugungen, die kann man nebeneinanderstehen lassen.
„Ja und“ heißt: Die Achtsamkeit im Miteinander pflegen, einen differenziert wahrnehmenden Blick auf den Anderen haben und eine andere Gesprächskultur entwickeln, in der das Zuhören im Mittelpunkt steht.
„Ja und“ heißt: Ein Bewusstsein über die Wirkung von Formulierungen fördern und erfahren, wie einzelne Wörter unsere Denkhaltung verändern können („aber“ versus „und“).
In facebook ist im Oktober 2023 darüber ein Text von Mirko Lange erschienen, den ich abschließend in Auszügen abdrucke:
Viele Menschen wollen kein "Ja, aber" hören, sondern einfach nur ihr Leid und ihre Trauer über die Opfer der schrecklichen Angriffe der Hamas ausleben.
Und viele Menschen wollen "Ja, aber" hören, sondern einfach nur ihr Leid und ihre Trauer über die Opfer unter der palästinensischen Bevölkerung ausleben.
Viele Menschen verurteilen die völkerrechtswidrigen und terroristischen Angriffe der Hamas auf Israel.
Und viele Menschen verurteilen die völkerrechtswidrige Annexion Jerusalems und der Golanhöhen durch die Israel, die Besetzung Gazas und die mutmaßlichen Kriegsverbrechen auf dem Gaza-Streifen.
Diese Liste lässt sich ewig fortführen. Was wir aber endlich verstehen müssen ist, dass es dieses "Ja, und" braucht. Zwingend. So lange wir dieses "Ja, und" nicht zulassen, so lange wir nur eine Seite zulassen, desto stärker wird die Polarität.
Vor allem müssen wir lernen mit dem "und" viel weniger militant umzugehen. Und gerade das "im Kleinen" nimmt überhand. Und gerade das "Im Kleinen" machen wir alle täglich: Indem wir die Meinung des anderen als widerlich bezeichnen. Indem wir den anderen persönlich angreifen, weil wir dessen Meinung ablehnen.
Wir müssen lernen das "und" zu akzeptieren. Vor allem, weil die Welt durch Digitalisierung, Migration und Globalisierung immer weiter zusammengewachsen ist.
Ohne "Und" gibt es Krieg. Und nur mit "Und" gibt es Frieden.
Also lasst uns für die toten Israelis trauern. Lasst uns für die toten und geschundenen Palästinenser trauern. Lasst uns für beide gleichermaßen trauern. Und lasst andere auch nur für die einen oder die anderen trauern.
Ernst Fischer