Fortschritt – eine Ideologie?
Eigentlich gibt es gar keine allgemein gültige Definition des Begriffs „Fortschritt“, und so ist es auch nicht überraschend, dass er Opfer von Ideologen geworden ist.
Die Gesellschaft hat die neoliberale Gleichsetzung von Fortschritt und Wachstum bereits verinnerlicht
Insbesondere in der Zeit der Industrialisierung, aber auch im postmodernen Neoliberalismus wird Fortschritt gleichgesetzt mit Wachstum. Und es wird den Bürger/-innen suggeriert, dass Wachstum gleich Fortschritt gleich Wohlstand ist. Das ist für der Urheber dieser Begriffsdefinition auch verständlich, benötigt die gewinnorientierte Wirtschaft doch ein immerwährendes Wachsen.
Wie sehr die Gesellschaft diese gefärbte Begrifflichkeit schon verinnerlicht hat, sieht man auch daran, dass einerseits einer Mehrheit den Klimawandel als größtes Problem ansieht, sie aber anderseits jede Maßnahme ablehnt, die den eigenen Wohlstand vielleicht nicht mehr wachsen lässt.
Gerne wird von der gleichen ideologischen Seite Fortschritt personalisiert und zum Beispiel mit dem Wachsen des Menschen verglichen. Wer sieht es denn nicht positiv, ja anrührend und emotional bejahend, wenn ein Kind langsam heranwächst und immer mehr Fähigkeiten erlernt. Und wie dann aus einem Kind ein vernünftig agierender Erwachsener wird, der sich seiner Umwelt stellt.
Aber schon Hannah Arendt, die deutsch-amerikanische Denkerin, hat darauf hingewiesen, dass diese Analogie ein Paradoxon ist: „Es scheint bisher nicht aufgefallen zu sein, dass die Konsequenz dieser Analogie ist, dass der Fortschritt im Untergang endet.“ Denn der Lebensprozess kennt nicht nur die Kindheit, sondern auch das Altern und schließlich den Tod. Diese Folge wird aber von den Vertretern der Fortschrittsideologie verschwiegen.
„Wage es, deinen eigenen Verstand zu gebrauchen“
Und wieder lernen wir mit Immanuel Kants „Wage es, deinen eigenen Verstand zu gebrauchen“ Aussagen nicht blind zu übernehmen, sondern über ihren Gehalt nachzudenken.
Ernst Fischer